Arnold zum Winkel, 29.6.2000

"Dunkelgräfin-Geheimnis" kann entschlüsselt werden
In Hildburghausen befürchtet man auch das mögliche Ende einer Legende

Ist sie’s oder ist sie’s nicht? Das Geheimnis um die "Dunkelgräfin" von Hildburghausen könnte jetzt entschlüsselt werden. Der Legende nach handelt es sich bei der stets tiefverschleierten Dame, die 1807 in dem Residenzstädtchen auftauchte und dort 1837 verstarb, um Marie Thérèse Charlotte von Bourbon, genannt "Madame Royale", die Tochter der guillotinierten französischen Majestäten Ludwig XVI. und Marie Antoinette.

Die noch erhaltenen sterblichen Überreste der mysteriösen Dame ließen sich heute identifizieren, die Gen-Technik macht’s möglich. Auch der DNA-Schlüssel liegt schon bereit. Prof. Bernd Brinkmann, Direktor des rechtsmedizinischen Instituts der Universität Münster, und sein Kollege Prof. J. J. Cassiman, Humangenetiker an der Universität Leuven, haben unlängst das erhaltene Herz des kleinen Ludwig XVII., des Bruders der Madame Royale, unabhängig voneinander untersucht und für echt befunden.

Eine Untersuchung der Dunkelgräfin wäre "möglich und auch erfolgversprechend", erklärte Prof. Brinkmann auf Anfrage. Ihr Grab befindet sich am Schulersberg bei Hildburghausen auf städtischem Grund und müßte nur geöffnet werden. Ob die Stadt dazu ihre Einwilligung gibt, ist allerdings fraglich, denn selbstverständlich könnte die fremdenverkehrswirksame Legende von der unglücklichen Königstochter durch eine DNA-Analyse auch zerstört werden.

Bürgermeister Steffen Harzer würde es nicht so gern sehen, "wenn das Mysterium auffliegt", wie er sagte. Und Rechtsmediziner Brinkmann erfuhr, daß sein Kollege "die Reise nach Hildburghausen schon antreten wollte, als er von dort eine Absage erhielt". Doch gibt es auch eine Fülle historischer Indizien für die These, daß es sich bei der "Dunkelgräfin" tatsächlich um Marie Thérèse von Frankreich handelt.

Helga Rühle v. Lilienstern hat die historischen Fakten in einer Schrift für das Stadtmuseum ("Die Dunkelgräfin – Das große Geheimnis von Hildburghausen") zusammengetragen. Danach spielte sich die wahrhaft fesselnde "Story" wie folgt ab:

Die vertauschte Prinzessin

Die Prinzessin war erst 13, als die königliche Familie in den Turm des Temple, des Pariser Stadtgefängnisses, eingeliefert wurde. In den mehr als drei Jahren des Terrors der französischen Revolution erlebte sie mit, wie Vater und Mutter zur Hinrichtung abgeholt wurden und der kleine Bruder, der Dauphin, verstarb. Dann endlich wurde sie in die Schweiz entlassen.

Paparazzi gab es schon vor 200 Jahren, wenn auch nicht mit der Kamera, so doch mit dem Zeichenstift. Im Dezember 1795 verfolgte ein Künstler namens Miexy mehrere Tage lang die Kutsche von Paris in Richtung Basel. Bei jeder Rast vervollständigte er das Porträt der nunmehr 17jährigen Prinzessin.

In den Geschichtsbüchern ist zu lesen, daß Marie Thérèse hernach ihren Vetter, den Herzog von Angoulême, geheiratet habe. Ein bereits vorbereitetes Bildnis der künftigen Herzogin wurde zugleich mit ihrer Ankunft in Basel veröffentlicht. Nur hat dieses hakennasige Konterfei mit dem hübschen Miexy-Porträt nicht die geringste Ähnlichkeit.

Die Lösung des Rätsels: Die Prinzessin wurde vertauscht. An die Stelle der Tochter Marie Antoinettes trat eine andere. Der Grund: Die endlich freigelassene Prinzessin war schwanger, vergewaltigt von ihren Gefängniswärtern. Das mußte vertuscht werden, also wurde statt ihrer eine andere "Madame Royale" gebraucht.

Als Tauschobjekt bot sich die gleichaltrige Ernestine Lambriquet an, eine frühere Gespielin der Prinzessin und wahrscheinlich eine natürliche Tochter Ludwigs XVI, die von der Königin sogar adoptiert worden war. Ernestine hat später sechs Millionen Franc an einen Erpresser zahlen müssen.

Die Odyssee der echten Prinzessin begann in der Schweiz, wo wahrscheinlich auch das Kind untergebracht wurde, und endet 1803 vorläufig in Ingelfingen in Württemberg. Zu dieser Zeit hatte die verschleierte Dame schon einen ebenso geheimnisvollen ständigen Begleiter. In Hildburghausen nannte man ihn den "Dunkelgrafen". Nach verschiedenen Wohnungswechseln lebte das Paar in Eishausen südlich der Stadt.

Ein echter Kavalier

Bei dem aufopferungsvollen Kavalier, auch das hat die Forschung längst herausgefunden, handelte es sich um einen ehemaligen holländischen Diplomaten namens van der Valck. Er überlebte seine erlauchte Schutzbefohlene um acht Jahre und starb 1845, aufgrund seiner Wohltätigkeit als Ehrenbürger Hildburghausens.

Daß die wahre Identität des Dunkelgrafenpaares den Landesherren an der Werra immer bekannt gewesen ist, steht für Helga Rühle v. Lilienstern außer Frage.

Autor:
Arnold zum Winkel
Am Frauenbrg 73
36251 Bad Hersfeld

Der Beitrag wurde am 29.6.2000 in der "Südthüringer Rundschau" veröffentlicht.

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