Post an Versay
Radefeldsches Haus
Geburtstagsbrief
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Fremde war man in Hildburghausen seit dem Ausbruch der
Französischen Revolution gewohnt. Der Herr, der unter dem Namen
"Vavel de Versay" seine Post erhielt, bildete zusammen mit
seiner Begleiterin dennoch eine Ausnahme. Sie lebten in völliger
Zurückgezogenheit und pflegten nur die nötigsten Kontakte in der
Öffentlichkeit. So sah man den Herrn gelegentlich spazieren gehen oder in
der Kutsche ausfahren. Die Dame, immer verschleiert oder eine grüne
Brille tragend, begleitete ihn oft, ging jedoch selbst nie allein
außer Haus. Aufgrund des
vornehmen Auftretens hielt man den Herrn für einen Grafen, die Dame für
eine Gräfin.
Nach etwa einem halben Jahr zog das Paar in das herzogliche
Gästehaus am Markt und 1808 in das am Rande der Altstadt liegende Haus der Witwe
Radefeld. Hier konnte man sich etwas freier bewegen. Der Hinterhof des
Hauses war von drei Seiten umbaut, sodass man ungesehen die Kutsche
besteigen und verlassen konnte. Zudem wurde eine Köchin, Johanna Weber,
engagiert, die für eine angemessene Verpflegung sorgte. Die Unterkunft im
Radefeldschen Haus soll von der Herzogin Charlotte vermittelt worden sein
- offenbar ein Beleg dafür, dass der Hildburghäuser Hof das Paar
bevorzugt behandelte. Ab dieser Zeit war zudem Johann Carl Andreä, ein
Kommissionär des Herzogs, für Vavel de Versay tätig.
Bezüglich des Verhältnisses der Dame zu ihrem Begleiter ist auf einen Brief vom 22. September 1808 zu verweisen, den sie anlässlich des 39. Geburtstages des Herrn verfasste:
"Lieber guter Ludwig, ich wünsche Dir zu Deinem Geburtstag viel Glück und Segen, der Himmel erhalte Dich gesund bis in daß späteste Alter. Ach lieber Ludwig, es sind schon so viele Geburtstage, die ich bei Dir erlebe. Ach lieber guter Ludwig, der Himmel segne Dich für alles, was Du schon an mir getan hast und an mir tust. Ach lieber guter Ludwig, es tut mir leid, daß ich Dir auf Deinen Geburtstag keine Freude mache kann. Ach lieber Ludwig, ich habe hier eine Kleinigkeit für Dich gemacht. Ich schäme mich, daß ich Dir keine bessere Freude machen kann. Ach lieber guter Ludwig, Du wirst es doch von Deiner armen Sophie annehmen als ein Beweis meiner Liebe und Dankbarkeit. Ach lieber Ludwig, verzeihe mir doch, wenn ich dich beleidigt habe. Ach, ich bete zum Himmel, daß ich meine Fehler verbessern kann, daß Du guter Ludwig doch zufrieden mit mir sein möchtest und doch im Stande sei, Dir alles zu Deinem Gefallen zu tun, wie es Dir angenehm zu machen. Ach lieber guter Ludwig, ich weiß, daß meine Lage schrecklich war und ich danke Dir nochmals und bete zum Himmel, daß er Dich segnen möchte für alles. Ach lieber guter Ludwig, behalte mich lieb, ich danke Dir noch mal. Ich empfehle mich dem Schutz Marias. Deine arme Sophie bis ins Grab."
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Schloss Eishausen
Illustration des
Schlosses Eishausen
(Andre "Max" Müller)
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Indes war auch hier der Aufenthalt nicht von Dauer. Am
30. September 1810 zogen die Herrschaften nach Eishausen, einem kleinen
Dorf, wenige Kilometer von Hildburghausen entfernt. Das dortige Schloss, ein schlichter
Rechteckbau am südlichen Dorfrand, befand sich seit 1802 im Besitz des
Hildburghäuser Hofes und wurde nun an den Kommissionär Andreä
vermietet, der es an den Herrn Vavel de Versay weitervermietete. So konnte
Versay es vermeiden, selbst mit den Behörden in Verhandlung treten zu
müssen. Das Leben in Eishausen verlief in gleicher Art und Weise wie in der
Stadt. Um den
größeren Haushalt und die längeren Wege in die
Stadt zu bewältigen, wurden einige zusätzliche Bedienstete engagiert. Die Köchin zog mit in das Schloss, durfte
es fortan aber nicht mehr verlassen.
Über den Alltag im Schloss berichtete ein Zeitzeuge:
"Eine ziemlich unveränderliche Tagesordnung herrschte. Früh um 4 oder 5 Uhr klopfte die
'Rufwärterin', so wurde das im Dorfe wohnende Dienstmädchen genannt, an einem Fenster des Schlosses, gab durch das Fenster die Milch an die Köchin ab, erhielt die Zeitung für den Pfarrer und andere Aufträge. Um 9 Uhr sah man die
'Bötin' aus der Stadt kommen; sie brachte Nahrungsmittel und andere Bestellungen aus der Stadt und die Briefe und Zeitungen der Morgenpost; ihr wurde das Schloß geöffnet; sie besorgte das Reinigen der Zimmer und dergleichen mehr. [...] Um 10 Uhr hielt gewöhnlich die Equipage des Grafen vor der Schloßthüre. Der Graf erschien mit der tief verschleierten Dame, führte sie mit dem Hut in der Hand die Treppe herab an den Wagenschlag, hob sie nach einer Verbeugung hinein, setzte dann sich selbst ein, und nun brausten die zwei riesengroßen pechschwarzen Rappen mit dem niemals zurückgeschlagenen Wagen, den
'Kammerdiener' in dreieckigem Hute und silberstrotzender Livree als Kutscher auf dem Bock, das Dorf hervor auf dem Wege nach Rodach zu, einem kleinen koburgischen Landstädtchen. Ein paar Hundert Schritte vor der Stadt wendete der Wagen um und fuhr nach Hause. Mitunter fuhr der Graf allein, ohne Begleitung der Dame; sehr selten des Nachmittags. Niemals ist die Dame allein ausgefahren. Gegen Mittag verließ die
'Bötin' das Schloß; am Nachmittage kam der 'Bote' mit den Nachmittagszeitungen und zur Besorgung neuer Geschäfte. Am Mittwoch und Sonnabend Nachmittag ging noch ein dritter Bote, ein Mann vom Dorfe, in die Stadt, um die Abendzeitung zu holen."
Der Haushalt wurde sehr aufwendig geführt, für die Küche nur die besten Dinge beschafft, Möbel von weit entfernten Orten
bezogen. Die Dienerschaft wurde reichlich bezahlt und der Herr
übte eine große Wohltätigkeit aus. Schätzungen zufolge hat
das Paar in den rund 30 Jahren in Hildburghausen und Eishausen zwischen
300.000 bis 500.000 Gulden ausgegeben - nach heutigen Maßstäben mehrere Millionen Euro.
Die Kontakte des Herrn de Versay beschränkten sich auf wenige
Personen. Mit dem evangelischen Dorfpfarrer Heinrich Kühner
unterhielt er eine intensive schriftliche Korrespondenz, ohne ihn jedoch
jemals persönlich zu sprechen. Begegneten sich die beiden Männer im Dorf,
grüßte man sich nur höflich.
Die Dame trat nie in Erscheinung und war bei Ausflügen mit ihrem
Begleiter stets nur tief verschleiert zu sehen. Sie war
offensichtlich von zarter und empfindlicher Natur und der Herr versuchte,
sie vor jeglicher Unannehmlichkeit zu bewahren. So ließ er eines Tages
sogar das Neujahrsschießen der Eishäuser Jugend unterbinden, um der Dame
die erforderliche Ruhe zu sichern. Da dies mit behördlicher
Unterstützung geschah, ist belegt, dass der Hildburghäuser Hof das Paar
bevorzugt behandelte.
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Herzog Friedrich von
Sachsen-Hildburghausen
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Dies kommt auch in einem Schreiben zum Ausdruck, in
dem Herzog Friedrich von Sachsen-Hildburghausen am 12. März 1824 seine Regierung anwies: "Wir Friedrich
von Gottes Gnaden, Herzog zu Sachsen, souveräner Fürst von
Hildburghausen [...] möchten [...] gegen den Herrn Grafen durchaus
diejenigen Rücksichten beobachtet und betätiget wissen wollen, auf
welche er sich durch sein bisheriges Benehmen selbst Ansprüche erworben
und welche wir ihm gleich bei seinem Eintritte in unser Land haben
gedeihen lassen. Wie wir denn den Herrn Grafen solange er seinen
Aufenthalt in diesem fortsetzen wird, beständig unter Unseren besonderen
Schutz nehmen und nicht zugeben werden, daß ihm irgendeine
Unannehmlichkeit zugefügt werde [...]."
Selbst als 1826 der angestammte Herzog Hildburghausen verließ, um das
Herzogtum Sachsen-Altenburg zu übernehmen und das Hildburghäuser Gebiet
dem Herzogtum Sachsen-Meiningen unter der Regierung des jungen Herzogs
Bernhard Erich Freund zugeschlagen wurde, blieb die rücksichtsvolle
Behandlung des Paares bestehen.
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Dr. Karl Kühner
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Trotz
ihrer Zurückgezogenheit konnte die Dame gelegentlich beobachtet werden. Dr. Karl Kühner, der
Sohn des Dorfpfarrers, berichtete später: "Ich selbst habe
die Gräfin, obschon ich 15 Jahre lang, theils ganz, theils in allen
Ferien auf dem Dorfe lebte, überhaupt nur zwei Mal und nur ein Mal
einigermaßen deutlich gesehen; dies Letztere geschah aus einiger
Entfernung mittelst eines Glases. Es mag im Jahre 1818 gewesen sein. Die
Gräfin stand am offnen Fenster und fütterte mit Backwerk eine Katze,
die unter dem Fenster war. Sie erschien mir wunderschön; sie war
brünett; ihre Züge waren ausnehmend fein; eine leise Schwermuth schien
mir eine ursprünglich lebensfrische Natur zu umhüllen; in dem
Augenblicke, wo ich sie sah, lehnte sie in schöner Unbefangenheit im
Fenster, den feinen Shawl halb zurückgeschlagen, wie ein Kind mit dem
Thiere unter sich beschäftigt. Ich sehe noch, mit welcher Grazie die
schöne Gräfin das Backwerk zerbröckelte und die Fingerspitzen am
Taschentuche abwischte."
Auch den Dienern blieben
Einzelheiten nicht verborgen. Dorothea Nothnagel, die Tochter des
Dieners Philipp Scharr
und der Köchin Johanna Weber, wohnte acht Jahre im Schloss Eishausen und
hat die Dunkelgräfin aus nächster Nähe erlebt. Sie schilderte sie "als eine Dame von sehr vornehmer Haltung, mit etwas ganz besonders feinem in ihren Zügen und so vornehm im Gang, daß niedriger Gestellte es gar nicht nachahmen könnten. Sie habe das Haar lange Zeit à la Titus getragen, habe großes, herrliches, blaues Auge gehabt und stets rote Wangen und sei 1835 noch, wo sie doch schon eine Fünfzigerin hätte sein müssen, noch immer sehr rüstig gewesen."
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